Warum pilgern? 
Jeder Pilger hat darauf sicher eine ganz persönliche Antwort. Die Gründe sind vielfältig. Die Motive aus früheren Zeiten sind sehr schön in dem Buch „Unterwegs nach Santiago" von Pierre Barret und Jean-Noel Gurgand beschrieben: Die Pilger kamen aus allen Bevölkerungsschichten und von überall her. Echte Frömmigkeit war immer schon das Hauptmotiv: Buße tun, ein Gelübde einlösen, Danke sagen, Bitten vortragen, Hilfe erflehen - sogar im Auftrag für andere. Man ging in die Fremde und unternahm eine Wallfahrt zu einem heilig betrachteten Ort, um eine religiöse Vertiefung zu erfahren. Anderen diente die Pilgerschaft als Flucht vor Problemen, vor Schulden, vor Strafe, vor Seuchen oder vor Kriegen. Manch einer war geschäftlich unterwegs oder wollte nur Land, Leute und Sitten kennen lernen. Manch einen Menschen hat das Pilgerschicksal unfreiwillig ereilt. Man konnte z.B. testamentarisch zum Pilgern verpflichtet oder aber als Strafe für irgendwelche Vergehen zu einer Pilgerreise verurteilt werden. Manche haben auch einfach nur einen Mann oder eine Frau gesucht. Und heute? Im Prinzip hat sich nichts geändert, aber die Gewichte haben sich verschoben. So ist z.B. das Jakobspilgern in Mode gekommen. Da machen sich nicht nur Menschen auf den Weg, die aus tief religiösen Motiven angetrieben werden. Pilgern ist heute auch Therapie.
 
Bei all der Motiv-Betrachtung bleibt ein Aspekt außer Betracht: Der Pilger hat zwar beim Start sein Motiv. Aber das Umfeld geht nicht spurlos an ihm vorbei, prägt ihn, verändert ihn. Prioritäten verschieben sich. Die Wahrnehmung verändert sich, vor allem bei langlaufenden Pilgern. 


Auch das Pilgerverhalten ist sehr unterschiedlich. Nicht wenige Pilger wiederholen ihre Pilgerreise mehrmals hintereinander. Ich halte es lieber mit der Regel: ein Motiv, eine Pilgerreise. Ich habe Pilgerinnen und Pilger kennen gelernt, die ihre Etappen nicht geplant, die keine Reiseführer-Literatur bei sich hatten, keinen Fotoapparat, kein Handy, ganz wenig Gepäck, die barfuss liefen. Manche sind einfach nur drauflosgelaufen und haben an einen erfolgreichen Weg geglaubt. Das ist mutig und lässt den Pilger sicherlich noch tiefer in eine wahre Pilgerwelt eintauchen, noch tiefer in seinen Körper und in seine Seele hineinhören als es mit den vielen „Absicherungen" der heutigen Zeit möglich ist. Wenn man sich demnächst mit Hilfe von GPS oder Galileo nicht einmal mehr verlaufen kann, weil sonst das Gerät anfängt zu piepsen, geht vielleicht ein weiteres Stück klassischen Pilgerlebens verloren. Oder doch nicht?


Man ging immer schon zu Fuß. Nur der Adel, der Klerus und die Reichen leisteten sich ein Pferd, wobei mir der wesentliche Unterschied zwischen Pilgern hoch zu Ross und Pilgern per Auto oder mit dem Zug nicht ganz klar ist. Heute ist auch das Radfahren akzeptiert, wobei ich das Wandern zu Fuß empfehle. Wie wertvoll ist das „Schwätzle" am Weg mit den Einheimischen, wenn man sich begegnet und sich in die Augen schauen kann! Je schneller man sich bewegt, desto mehr schwächelt das Erdverbundensein, das soziale Element des Pilgerns.


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